Leben mit Problemhund (2): Wenn es besser wird.

Schon zweieinhalb Jahre.

So lange ist es nun schon her, dass sich die Sicht auf meine Hunde innerhalb eines Atemzugs so drastisch verändert hat, dass es in manchen Momenten kaum aushaltbar war.
Dass man plötzlich nicht mehr nur noch rausgehen kann um die Zeit mit seinem Vierbeiner entspannt zu genießen – weil einfach an jeder Ecke die Angst folgte, die Schuldgefühle und das Gefühl, ein voller Versager zu sein. Ich dachte, die Unbeschwertheit würde nie wieder in unser Zusammenleben zurückkehren.

Und doch hat sich so einiges getan, vor allem bei mir selbst.

Durch unseren Blog haben nicht nur unsere Leser, sondern auch ich selbst die Chance, sämtliche Momente einfach mal Revue passieren zu lassen. Immerhin gibt es uns als Blog nun schon mehr als 4 Jahre. Unglaublich, oder?
So mancher Blogbeitrag den wir 2015/16 geschrieben haben, passt eigentlich garnicht mehr so richtig zu uns. Im Laufe unserer Hundehaltung haben wir unheimlich viel dazugelernt. Nicht nur über Hunde, sondern auch über uns selbst. Mittlerweile sehen wir vieles rund ums Thema Hund gelassener und sind noch stärker mit unseren Plüschnasen zusammengewachsen. Im Gegensatz zu früher können wir sie viel besser einschätzen.

Auch dieser eine besondere Artikel passt irgendwie garnicht mehr zu uns. Er beschreibt rückwirkend ganz gut, was passiert wenn man sich zu gutgläubig ins Training stürzt ohne einfach mal Inne zu halten und man sein Tier und die Situation falsch einschätzt. Damals war ich mir sicher, dass die beiden Damen einem anderen Hund niemals etwas tun würden. Sind sie doch in ähnlichen Momenten zwar zu fremden Hunden hingelaufen und haben gepöbelt, jedoch nie gebissen. Ich war überzeugt davon, dass man mit ein bisschen Arbeit die „Leinenagression“ wegarbeiten kann, auch wenn es Zeit dauern würde.

Nach dem Vorfall war ich lange verängstigt, wenn ich alleine draußen war. Ich hatte nicht mehr das Gefühl, den beiden vertrauen zu können. Jeder Gassigang war Stress und Panik, dass wieder jemand unerwartet um die Ecke kommt und unsere Runden wurden dementsprechend angepasst. Das Karussell der Gedanken hat sich immer schneller gedreht, sobald wir in einem unübersichtlichen Gebiet angekommen waren. Bitte bitte nicht noch eine dumme Situation, noch ein Beißvorfall, Anzeige, Beschlagnahmung, ein Leben im Tierheim, alles meine Schuld.. und das an jeder Straßenecke. Frauchen war immer in Alarmbereitschaft. Das ist natürlich nicht gerade optimal bei Rassen, die eine klare Führung brauchen.

Heute würde ich nie wieder rausgehen ohne dass ich mir sicher bin, dass ich alles im Griff habe und die beiden ausreichend gesichert sind. Der Mauli ist unser ständiger Begleiter, und das ist auch gut so. Weder den Damen noch mir scheint er noch aufzufallen. Wir verzichten auf Momente, die heikel werden könnten. Mal vom Stress abgesehen, den beispielsweise ein hoch frequentierter Spazierweg bei Bestem Wetter für Lana und Maila mit sich bringt, ist es auch für mich in solchen Momenten einfach nicht angenehm. Wo ich früher noch vehement versucht habe, auch solche Dinge durchzustehen, ist Ruhe eingekehrt. Eingeschränkt fühle ich mich dadurch nicht mehr, denn wir haben gelernt wie viel schöner es an einem kalten Wintertag allein im Wald sein kann, wenn man neue Wege erkundet.
Trotzdem habe ich heute zugegebenermaßen immernoch einen gewissen Weitblick. Aber: die beiden Damen sind mittlerweile über 5 Jahre bei mir und ich weiß viel besser, worauf ich achten muss, wann sie ausflippen könnten und welche Distanz aushaltbar ist. Einfach mal ein paar Meter beiseite gehen und eine halbe Minute warten, bis das andere Mensch-Hund-Team von Dannen gezogen ist, während klein Miley zwar guckt, aber nicht auf 180 in die Leine springt, ist für mich mittlerweile eine entspannte Methode geworden, um dem Problem aus dem Weg zu gehen.
Ich habe im Laufe unseres Trainings oft gehört, dass es elementar wichtig ist, seinem eigenen Vierbeiner vertrauen zu können. Irgendwie habe ich im Laufe der Zeit jedoch viel mehr erreicht, indem ich gelernt habe mich auf mich selbst und mein Bauchgefühl zu verlassen. Ich bin emotional viel stabiler geworden und kann mittlerweile auch Schreckmomente viel besser aushalten. Sprang mir vor einem Jahr noch ein unangeleinter Hund entgegen, war ich danach so geschockt, dass ich in Tränen ausbrechen konnte.

Leg dir einen Problemhund zu, und du wirst daran wachsen?
Gut, so einfach kann man das natürlich nicht sagen. Je länger ich über diese Aussage nachdenke, desto mehr trifft sie aber zu. Ein Hund, der nicht so einfach ist, bringt einen an seine persönlichen Grenzen, und das nicht gerade selten. Schafft man es, diese zu überwinden wächst man an so einer Aufgabe – sofern man sich voll und ganz darauf einlässt.
Die Veränderung, die das letzte Jahr in meinem Kopf so mit sich brachte kann man auf zwei wesentliche Punkte zurückführen.
Zum einen ist es wichtig, wie man sich selbst sieht und wie man sich seinem Tier gegenüber gibt. Man muss selbstbewusst und konsequent sein und auch in solchen Momenten klar Stellung beziehen. Und dazu gehört natürlich eine gewisse Körpersprache, Wissen und vor allem auch Selbstvertrauen. Ein großer Schritt war es, sich einzugestehen, dass man nicht der Einzige auf der Welt mit einem Hund ist, der vielleicht anders tickt als 95% aller anderen. Und, dass man nicht zwangsweise die Ursache des Problems sein muss, nur weil man einen solchen Hund hat. Auch der Hund ist nicht „böse“, er handelt nur wie er es für richtig hält. Hat man einen Hund mit Aggressionsverhalten, sollte man so ein Schubladendenken schnell ablegen, denn das nimmt ganz viel Emotionalität aus so einem heiklen Thema. Ich fühle mich nicht mehr persönlich angegriffen, sollte sich das Verhalten wieder einmal zeigen.
Wenn man so lange eine sich verschlimmernde Problematik vor seinen Augen sieht, und merkt man kommt einfach nicht voran obwohl man alles mögliche gibt, sorgt das erneut für Verunsicherung. So habe ich mich nach und nach von der Vorstellung verabschiedet dass Training dahin bringen wird, dass die Damen auf wundersame Weise verträglich und sozial werden. Ich habe einfach zu viel trainiert und vor allem zu viel ausprobiert, um das auch heute noch behaupten zu können. Einfach mal einen Schritt zurück zu gehen, kann manchmal eine riesen Erleichterung mit sich bringen, vor allem wenn man in so einer festgefahrenen Konstellation aus Angst, Verzweiflung und Unsicherheit feststeckt. Vielleicht stößt das beste Training auch manchmal an seine Grenzen. Auch das sollte man akzeptieren können. Man kann nicht alles richten, aber vielleicht lernen damit klarzukommen, dass der eigene Vierbeiner so ist, wie er ist.
Das soll natürlich nicht bedeuten, dass wir von jetzt an garnicht mehr trainieren. Jedoch habe ich einfach meine eigene Erwartungshaltung enorm heruntergeschraubt. Ziel ist es nun, so gut wie möglich zu händeln, was nun einmal vorhanden ist.

Seit diesem Schritt zurück klappt es eindeutig besser. Es wird nicht mehr an dem Problem herumgedoktert und gehofft, dass sich die Persönlichkeit meiner Hunde durch ein paar Leckerchen verändert und die Aggression plötzlich weg ist. Einfaches Management und Akzeptanz hat uns glücklicher gemacht, als jedes vorhergehende intensive Training.

Diese gesamte Zeit hat mich nicht nur emotional geprägt, sondern auch tiefgründiger. Ich wollte schon immer mit Tieren arbeiten, hatte aber nie die Chance dazu. In ein paar Jahren, wenn genügend Startkapital vorhanden ist, möchte ich mein Leben genau dem widmen: Menschen mit Hunden, die vielleicht nicht so einfach sind wie der Fiffi von nebenan. Menschen, die Hilfe und Verständnis für ihre Situation suchen und sie woanders nur schwer finden würden. Wer sollte so etwas besser verstehen, als jemand der in genau derselben Situation gesteckt hat?