Das andere Ende der Leine … oder doch nicht?
Im Leben mit unseren Hunden kam uns eine Floskel besonders oft zu Ohren – nicht direkt auf uns bezogen, sondern allgemein in den Raum geworfen. „Das andere Ende der Leine ist immer schuld am Verhalten des Hundes“. Genau wie alle anderen üblichen Sprüche kann man auch diesen aber nicht verallgemeinern. Wieso? Lest unsere Geschichte.
Hört man als Problemhundehalter so einen Spruch fragt man sich unwillkürlich, was man alles falschgemacht hat, dass der eigene Hund so geworden ist wie er ist und lässt Revue passieren. Immerhin muss man ja ganz schön was falschgemacht haben, wenn der eigene Vierbeiner andere Hunde am liebsten mit einem Happen fressen würde.
Lana und Maila sind problematisch bei Hundebegegnungen und mit fremden Hunden meist unverträglich. Meine Tante, die eine unliebsame Begegnung miterleben musste war sehr geschockt von der Aggressionsintensität der beiden beim Umgang mit Fremdhunden. Sie (und auch ich selbst) konnte nicht genau nachvollziehen wieso beide Hunde nicht verträglich sind und derart stark reagieren. Warum?
Bei solch einem Verhalten denkt man zuerst an Hundebesitzer, die ihre Tiere misshandeln, Bedürfnisse nicht erfüllen und ihre Tiere einfach nicht artgerecht behandeln. Nur: Ich bin kein typischer „schlechter Halter“. Die zwei haben alles was sie brauchen, bekommen Unmengen an Liebe, Aufmerksamkeit, Auslastung und ein warmes Körbchen.. eben alles, was sich ein Hundeherz wünscht. Auch erziehungstechnisch lasse ich nicht alles durchgehen und mache mir Gedanken über hundliche Kommunikation, Sozialisierung und Training. Beide Hunde haben von Beginn an Erziehung genossen. Trotzdem haben sich ihre Charaktere in diese Richtung entwickelt.
Lana ist eine Hündin, die keinen Kontakt zu unbekannten Hunden möchte und das auch deutlich zeigt. Sie wurde als Welpe sehr gut sozialisiert und war täglich auf Hundeplätzen spielen. Sie hat damals nie problematisches Verhalten gezeigt, und doch ist es im heranwachsenden Alter deutlich geworden, dass sie keine Artgenossen in ihrem Umfeld möchte.
Maila ist von Beginn an dagegen eine Hündin gewesen, die zwar Kontakt sucht aber schlicht und ergreifend Körpersprache nicht wahrnimmt und eine geringe Frusttoleranz mitgebracht hat. Ich bin von Beginn an immer offen in Hundebegegnungen hineingegangen und war froh über jeden Sozialkontakt für beide. Trotz allem schlichen sich Probleme ein.
Seit Längerem beschäftige ich mich mit rassespezifischem Verhalten und des Öfteren ist mir zu Ohren gekommen, dass besonders unsere Listenhundrassen sehr eigen im Umgang mit Artgenossen sein können. Bei vielen (auch gut sozialisierten) Hunden entwickelt sich über die Zeit eine Unverträglichkeit gegenüber Fremdhunden, und das auch ohne zutun des Besitzers. Auch wenn es viele nicht hören wollen: Aggressionsbereitschaft ist teilweise vererbbar und liegt in den Genen unserer Rassen. Wie stark diese ausgeprägt ist und wie sich der Hund entwickelt, liegt dabei nicht ausschließlich an uns. Besonders Hinterhofzuchten und wirkliche „Kampflinien“ aus dem Ausland sollte man dementsprechend meiden.
Das gleiche Spiel bietet sich natürlich auch bei anderen Rassen (Stichwort Territorialverhalten oder Jagd-/ Hütetrieb). Meiner Meinung nach kann man dieses genetische Verhalten zwar abschwächen und durch Training in geregelte Bahnen lenken, aber nicht bei jedem Hund einfach wegüben. Genau aus diesem Grund bin ich absolut dagegen, alle Halter eines Problemhundes an den Pranger zu stellen und zu behaupten, man habe sein Tier in dieses Verhalten gezwängt. Nicht jeder Hundebesitzer mit „Aggrohund“ ist der Ursprung eben dieses Verhaltens. So kann es durchaus auch ohne „Eigenverschulden“ der Fall sein, dass ein Bordercollie auch in anderen Händen Situationen kontrollieren wird oder man einen Jagdhund eben nicht dazu bekommt, das jagen sein zu lassen. Je nach sich durchsetzender Genetik kann dieses angeborene Verhalten auftreten, oder eben ganz verschwunden sein. Besonders Arbeitslinien werden auch heute noch speziell auf ihre ursprüngliche Aufgabe hin selektiert und zeigen dies u.U. später auch in ihrem Verhalten deutlich.
Als Menschen sind wir immer wieder geneigt, andere sofort zu beurteilen und in Schubladen zu stecken. Besonders im Internet wird vorschnell geurteilt ohne die Hintergründe zu kennen. Aber woher wissen wir in diesem Fall, woher der Hund stammt den wir da grad beurteilen? Was seinen Charakter ausmacht? Vielleicht ist er noch nicht lang beim Besitzer und hat traumatisches erlebt, das ihn so werden ließ oder er ist krank? Man sollte immer erst hinterfragen, kennenlernen und sich dann eine Meinung bilden. Kann man dies nicht, sollte man neutral an die Sache rangehen und eben nicht mit Floskeln die man bei anderen aufgeschnappt hat um sich werfen.
Aber: überall gibt es ein Fünkchen Wahrheit. Hat man einen Hund der ein gefährdendes oder unerwünschtes Verhalten zeigt, ist es das andere Ende der Leine, dass dafür Sorge zu tragen hat seinen Hund vor Vorfällen zu schützen. Besonders die Sicherung mit Maulkorb (und ggf. Leine) sehen wir mittlerweile als sehr wichtig an.
Ebenso sollte das andere Ende der Leine ernsthaft versuchen die vorliegene Aggression abzutrainieren oder zumindest umzulenken. Ist ein Problemverhalten einmal da, wird es leicht durch den Besitzer verstärkt. Nicht selten spiegeln unsere Hunde unser eigenes Verhalten wider und werden von uns unbewusst in ihrem Verhalten noch bestärkt. Die Situation schaukelt sich bis ins unerträgliche hoch und schränkt alle ein, egal ob es genetisch so vorgesehen ist oder anerzogen. Manchmal bemerkt man sogar selbst sein eigenes Problem nicht. Hier kann ein fachkundiger Außenstehender helfen, die Situation zu beurteilen. In unserem Fall ist es meine eigene Angst und Unsicherheit, die wir MIR derzeit abtrainieren um überhaupt an der eigentlichen Problematik zu arbeiten 😉