Die 4-Stunden-Lüge

Wenn man bei Facebook in Hundegruppen aktiv ist, erlebt man so manche komische Story. Ich habe übrigens in den letzten Monaten begonnen, bestimmte Kommentare mal festzuhalten um sie auch später nochmal lesen zu können und herzlich zu lachen.. oder zu weinen. Je nachdem.

Wie dem auch sei: Lesen wir Dinge, beeinflusst das jeden von uns irgendwie – egal ob es etwas Sinnvolles ist oder nicht. Wir beginnen, uns selbst zu hinterfragen.

Zu Beginn meiner Hundehalterschaft bin ich viel in Online-Foren aktiv gewesen und auch heute macht es mir noch Spaß. Tatsächlich kann man oft viel Wissen von solchen Plattformen mitnehmen, wenn man still mitliest oder sogar an Diskussionen teilnimmt. Man lernt von erfahreneren Hundehaltern und kann durch die verschiedenen Meinungen zu vielfältigen Themen gut über den Tellerrand hinaus schauen. Ich habe so mehr rund um das Thema Hund lernen können als ich mir je erträumt hätte. Wie es jedoch im Internet so ist, hat jede Medaille mehr als nur eine Seite.
Mittlerweile bin ich aus Erfahrung dazu übergegangen doch nochmal nachzufragen wenn Dinge vollkommen wirr, unsinnig oder auch einfach nur irgendwie ausgedacht klingen – die Länge der Gassigänge gehören bei vielen dazu.

Fragt man nämlich nach der Länge der täglichen Spazierrunden mit dem Vierbeiner seiner Wahl, wird das Ganze scheinbar sehr leicht zu einem Wettstreit unter den Antwortenden. Der Erste beginnt mit einer Stunde morgens und einer Stunde Abends, bis wir beim Besten Kommentierer angekommen sind.. „ich gehe morgens von 8 – 10 Uhr, dann Mittags eine große Runde von 12 – 16 Uhr und nochmal 20 – 22 Uhr😊😊😊„. Und nein, das ist kein Witz. Grundsätzlich scheint jeder Zweite täglich mindestens 4 Stunden mit seinem Hund draußen zu sein. „Kann man keine 4h Auslauf gewährleisten, sollte man sich lieber einen Stoffhund zulegen“.

Shit, wie stinkefaul bin ich eigentlich? 😳

Früher habe ich das Ganze tatsächlich noch geglaubt und versucht möglichst lange mit den Damen unterwegs zu sein, aber nie sind wir mehr als 3 Stunden draußen gewesen, und das auch wenn dann nur einmal am Tag. Ungeachtet von der Tatsache dass ja ein normaler Mensch auch irgendwann mal erschöpft ist und noch dazu arbeiten muss.. Nunja. Super-Hundeeltern fahren in ihrer 30 Minutenpause Mittags aber selbstverständlich jeden Tag mit 300km/h nachhause damit ihr Liebling auch ja keine 6h aushalten muss.. Also wird das alles wohl auch so stimmen. Und es wird ja auch gesagt, dass anspruchsvolle Rassen sehr viel Auslauf brauchen, um glücklich zu sein… SEHR viel. Das muss also stimmen. Oder?

Im Laufe der Jahre fiel mir jedoch auf, dass die Realität ganz anders aussieht. Hundebesitzer aus Hundetreffs kamen oft nur jedes zweite oder dritte Mal mit zu einer einstündigen Runde, nach ein paar mal ließen sie es sogar völlig, obwohl eine gute Atmosphäre herrschte und die Hunde es sichtlich genossen. Offensichtlich war es zu viel Arbeit oder Zeit, die sie investieren mussten, oder es haperte einfach daran, dass sie keine Lust hatten.
Auch in unserem Umfeld gibt es zu 90% Hundehalter, die so gut wie nie ihren Stadtteil verlassen. Viele laufen nur um den Block, zweimal täglich 10 Minuten.

Ich zweifle nicht an, dass es Menschen gibt, die viel mehr mit ihren Hunden rausgehen. Jedoch betrifft das sicher den kleinsten Teil. Das reale Leben sieht nunmal anders aus.

Auch als Mensch muss man da realistisch sein. Hast du neben Haushalt, Job, Kindern, kochen, einkaufen, schlafen usw. wirklich jeden einzelnen Tag 4h+Zeit, nur um deinen Hund draußen zu bewegen? Pro Stunde läuft man 5km/h, bei 4 Stunden macht das 20km! Wer außer Extremsportler oder Halbmarathonläufer tut so etwas bitte jeden Tag? Wohlgemerkt zusätzlich zum täglichen Leben. Warum sind dann so viele Hundebesitzer übergewichtig? Irgendwas stimmt da nicht…
Ich halte das für absolut utopisch so ein Pensum im Alltag durchzuhalten, wenn es nicht gerade zum Job gehört. Noch dazu wird ja propagiert dass Bewegung nicht alles ist. Gehirnjogging für Hunde, sowie kuscheln und füttern kommen noch obendrauf. Wie man es dreht und wendet, es ist einfach Quatsch.

Mal Butter bei de Fische: unsere drei Damen würden durchdrehen, wenn wir auch nur jeden Tag 3 Stunden mit ihnen unterwegs wären – jede auf ihre Weise. Der hyperaktive Bellcollie wäre vollkommen überdreht und die beiden Brathähnchen würden nach Kilometer 20 einfach nur noch an der Leine leblos hinterherschleifen. Selbst im jungen Alter hätten die Weiber mir den Finger gezeigt wenn ich das JEDEN Tag von ihnen erwartet hätte. Es mag Hunde geben, die das aushalten oder die es gewohnt sind, der Otto-Normal-Dackel mit Tante Hilde und ihren 20 Pfund zu viel auf den Rippchen hinten dran kann sich sowas aber in seinen kühnsten Träumen nicht vorstellen.

Wir sind jedenfalls sehr glücklich mit unserem Pensum an „Draußenzeit“. Die Damen sind 1-3 mal die Woche etwa 2h lang Gassi, davon je nach Lage kurz im Freilauf. Ansonsten gibt es hier eher 30 Minuten – Runden. Hat mal so garkeiner Bock, gibt es sogar nur eine 50m-Runde um schnell alle wichtigen Angelegenheiten zu klären. Und: was soll ich sagen, alle drei Vertreter eher anspruchsvollerer, aktiver Rassen die hier leben sind absolut zufrieden damit und waren es schon immer. Vielleicht braucht man manchmal kein pinkes Einhorn erschaffen um perfekt zu sein.

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