Was Sicherung wirklich bedeutet

Heute möchte ich Euch wie versprochen mal wieder auf die andere Seite der Hundewelt mitnehmen. Nämlich auf die dunkle Seite, die die meisten nichtmal in Gedanken freiwillig betreten würden, wenn sie die Wahl hätten. Hier dreht sich alles um das Zusammenleben mit verhaltensauffälligem Hund und darum, die lieben Zähnchen da zu lassen, wo sie keinen Schaden anrichten.

Es soll heute also darum gehen, wie man einen Hund mit Potenzial vernünftig sichert, um Vorfälle schon im Vorfeld zu verhindern. Hierzu gehören verschiedene Aspekte: das passende Equipment, vorausschauendes Handeln und die Kenntnis über den eigenen Hund. Unser Hauptproblem mit beiden Hunden besteht aus einer Prise übersteigertem Beutefangverhalten und einer ordentlichen Schippe Aggressionspotenzial allem gegenüber, was mehr als zwei Beine hat – darauf sind die nun folgenden Überlegungen im Zusammenleben ausgerichtet.
In den Jahren mit Aggrohund habe ich in meiner Filterblase vieles gelesen und auf der Straße vieles gesehen (sowohl bei anderen als rückblickend auch bei mir!), was mit ein wenig vorausschauendem Handeln und vernünftigem Sichern des Vierbeiners locker zu vermeiden gewesen wäre. Egal ob es der Ausbruch aus dem Garten, der Vorfall beim aussteigen aus dem Auto oder das ungewollte Zusammentreffen an der Straßenecke ist – wer weiß was er da tut und ein paar Dinge beachtet, kann auch mit Aggrohund sicher durch die Welt marschieren.

Wie spezialisiert wir hier mittlerweile sind, wird mir nur noch bewusst, wenn ich mit Bekannten und Freunden gemeinsam mit meinen Hunden laufe, denn sie scheinen als Außenstehende unbeschönt wahrzunehmen, WIE anders solch ein Hund im Vergleich zu Fiffi von nebenan tickt. Vieles schränkt einen selbst nämlich garnicht mehr ein, je länger man gewisse Situationen und Verhaltensweisen auf eine dem Hund angepasste Art und Weise handhabt. Bei uns ist eben vieles nicht normativ – mit zweimal Tötungsabsicht am anderen Ende der Strippe verläuft unser Weg eben manchmal eher im Zickzack als mit dem Strom. Auch ich lerne nach 8 Jahren immernoch stetig dazu. Mein Ziel ist es aber, dass vielleicht der ein oder andere ein paar Fehlerchen nicht wie wir am eigenen Leib erfahren muss und diese umgehen kann – für eine bessere Sicherheit auf allen Seiten.

Richtiges Equipment: Halsband, Leine und Maulkorb
Das Wichtigste, um einen großen, im Zweifel ziemlich bösen Hund zu sichern, ist wohl die richtige Ausrüstung.
Bei uns haben sich breite Halsbänder (4cm und aufwärts) absolut durchgesetzt. Sie können vor allem den Bollerköpfen nicht so leicht über den Kopf rutschen, die beiden Damen können sich da bei richtiger Einstellung sogar zu 100% nicht herauswinden, und glaubt mir: sie haben es so manches Mal mit hoher Motivation getestet 😉 Die Wahl des richtigen Halsbandes muss unbedingt in Beachtung der Rasse und der spezifischen Kopfform erfolgen. Windhundrassen sind beispielsweise aufgrund des nahezu gleichen Kopf- und Halsumfangs wahre Ausbruchskünstler. Hier eignen sich wenn überhaupt oftmals nur Zugstophalsbänder, die sich von selbst bei Zug bis zu einem bestimmten Punkt verengen.
Ganz besonders achte ich bei Halsband und Leine auf die Beschläge. Das Halsband sollte mit doppelter Dornschnalle sein (falls ein Dorn mal bricht) und nicht nahtlos verstellbar sein, denn solche Verschlüsse leiern gern mal aus und halten dann nicht mehr gut. Die Folge: das Halsband verstellt sich womöglich von selbst über die Zeit oder in einer brenzligen Situation, in der der Hund mal aus dem Pelz springen möchte. So etwas ist mehr als nur unangenehm, denn im Zweifel kann man bei hoher Reizlage nicht eingreifen, sondern nur halten und hoffen dass es schnell vorbeigeht. Auch das Material des Halsbands sollte sich nicht (wie bei billigen Kunststoffbändern) bei Nässe ausdehnen. Plastik sollte bei Verschlüsseln und Co. selbsterklärend ein No-Go sein.

Von Geschirren an großen Hunden halte ich grundsätzlich eher wenig, wenn es vermeidbar ist. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man im Notfall den Kopf des Hundes weniger unter Kontrolle hat und vor allem viele Hunde nur zu gut wissen, wie sie aus ihrem zB. Norwegergeschirr herauskommen. Einen großen Aggrohund mit Geschirr zu führen, in das er sich im Zweifel richtig schön reinlegen oder -springen kann, kann ein zusätzliches Sicherheitsrisiko sein, da das Kräfteverhältnis ein anderes ist als beim Halsband. Wer jedoch unbedingt ein Geschirr nutzen möchte, dem würde mein „innerer Monk“ ein Sicherheitsgeschirr mit drei Bauchgurten empfehlen, damit ein Ausbruch auch tatsächlich in einer Notsituation garnicht erst möglich wird.

Auch eine robuste Leine ist sehr wichtig. Am Störanfälligsten sind entgegen aller Mythen der „gerissenen Leine“ wohl die Karabiner, die leider oft sehr billig hergestellt werden und leicht am Drehmoment oder Schweißnähten brechen. Ich hatte schon viele unangenehme Momente mit meinen Hunden – aber den, als unser Karabiner trotz nur geringem Zug brach und Lana plötzlich frei in einen Fremdhund knallte, werde ich nie vergessen. Hier nutze ich deshalb mittlerweile aus Überzeugung eine handgemachte Leine mit Kong-Frog, also einem speziellen Verschluss, der aus dem Bergsteigermillieu kommt und mehrere Tonnen Zugkraft aushält. Dieser lässt sich auch nicht wie viele „modische“ Hakenverschlüsse aus Versehen öffnen. Wichtig ist aber auch, dass Material und Nähte gut verarbeitet sind. Unsere Leine ist deshalb aus dem Schutzhundesport und für den optimalen Grip an den Stellen wo man anfasst gummiert, die zweite wird bald folgen. Ganz günstig ist so eine Leine nicht, aber nach oben genannter Erfahrung war es mir das Geld wert.

Hunde mit Aggressionspotenzial sollten selbsterklärend draußen immer mit Maulkorb gesichert werden. Hier ist unbedingt darauf zu achten, dass das Körbchen nicht von selbst abbekommen werden kann und aus einem beißfesten Material besteht. Die wirklich „schweren Jungs“ sollten Metall tragen. Biothane, Plastik und andere Materialien sollten bei wirklicher Beschädigungsabsicht nicht genutzt werden. Sie können brechen oder der Vierbeiner kann im Zweifelsfall trotzdem seine Zähnchen hindurch einsetzen. Wie ein Maulkorb sitzen sollte um dem Hund tierschutzgerecht optimalen Komfort zu bieten und zusätzlich zu schützen, könnt ihr hier ausführlich erfahren: http://maulkorb-factory.de/wissenswertes-ueber-maulkoerbe/

Kritische Momente absichern
Die meisten Vorfälle passieren in Momenten, die wir nicht ausreichend absichern, weil sie nur kurz andauern oder wir fälschlicherweise meinen, sie im Griff zu haben. Dabei ist es manchmal ganz leicht, ein paar Stellschrauben zu justieren:
Das ein- und aussteigen mit zwei Aggrohunden aus dem Auto war mir schon immer unangenehm. Ich habe lange darüber nachgedacht, wie man das Ganze lösen könnte. Lana und Maila fahren im Kofferraum mit. Hier haben sie Halsband und Leine um, der Maulkorb ist ab. (Wummst so ein Drahtkörbchen beim Anblick eines Fremdhundes gegen die Scheibe, hätte ich sonst Angst dass diese beschädigt wird). Wie dem auch sei: Neben dem Hundegitter sind die Hunde wie eigentlich ja gesetzlich vorgeschrieben auch IM Kofferraum angeschnallt. Nahezu jedes Auto hat an der Rückseite seiner Rücksitze zwei Metallringe zur Sicherung der Ladung – genau da kann man mit speziellen Kofferraumgurten auch die Hunde anschnallen. Unsere Anschnaller sind mit Stoßdämpfer und einem speziellen Karabiner ausgestattet, der sich Dank Sicherheitsverschluss nicht durch Zufall öffnen lässt. Lana und Maila bleiben solange an Ihren Gurten angeschnallt, bis sie komplett angeleint und „bekorbt“ sind. So kann ein ungewolltes herausspringen auf schlecht einsehbaren oder überfüllten Parkplätzen problemlos verhindert werden!

Auch andere Momente können schnell brenzliger werden, als man zuerst vermuten mag. Straßenecken sorgen schnell dafür, dass die Individualdistanz unterschritten wird und ein Hund unerwartet auslöst. Deshalb umgehe ich sie so gut es geht, indem wir Bögen gehen oder halte mich bereit, falls etwas passieren sollte. Den Schreck, wenn man Nachts um 4 und eigentlich vor dem aufstehen auf sein Ebenbild mit Riesenhund trifft, muss man erstmal verdauen 😉 deshalb nähern wir uns nur noch langsam, ruhig und an kurzer Leine solchen Ecken an.

Geht’s für die Damen wie so oft mal wieder zum Tierarzt, schaue ich kurz durch die Fenster oder öffne die Tür einen Spalt, bevor ich die Hunde hereinlasse. Nichts ist für uns schlimmer als ein enges, volles Wartezimmer auf der anderen Seite der schweren Tür. Deshalb rufe ich oft schon vorher an und sage Bescheid, dass wir draußen warten. Bei wirklichen Spezialfällen kann man manchmal sogar einen Termin außerhalb der Sprechzeiten machen, damit es nicht in Stress fürs Tier ausartet. Die meisten Ärzte kennen ja irgendwann ihre „Pappenheimer“. Auch wir haben eine nette Ärztin gefunden, die uns so einplant, dass wir nach Möglichkeit zB zwischen zwei Katzen dran sind und kein Fremdhund ins enge Wartezimmer kommt.

Auch der Garten birgt je nach Vierbeiner oftmals ein großes Gefahrenpotenzial. Als Besitzer fühlt man sich hier erstmal sicher. Noch dazu greifen hier ja keine Auflagen. Maulkorbhunde dürfen hier theoretisch frei laufen. Beim Betreten unseres kleinen Gartens achte ich bei jeder Tages – und Nachtzeit darauf, dass mögliche Katzen die Chance haben, sich zu verflüchtigen bevor die Hunde rausgelassen werden. All unsere Zäune sind dicht und kletter- sowie übersprungsicher (zumindest für unsere Hunde ausreichend, für andere ist ggf ein Übersprungschutz nach innen gerichtet notwendig). Tore werden niemals (!) nur angelehnt und die Hunde auch niemals unbeaufsichtigt draußen gelassen.

Auch das Thema Freilauf ist für viele Hunde mit Aggressionsverhalten schwierig und ich möchte es der Umstrittenheit halber zwar erwähnen, aber nicht tiefgründig darauf eingehen. Viele Vierbeiner die Problemverhalten im Bereich der Aggression oder des Beutefangverhaltens zeigen, haben in diesen Momenten eine sehr hohe Trieblage und ein Abruf gestaltet sich schwierig. Im Zweifel kann man an so etwas trainieren bis man umfällt und kommt nicht weiter.
Am sichersten ist es, für solche Felle ein eingezäuntes, abgeschlossenes Gelände oder einen Garten für den Freilauf zu nutzen. Wir haben so etwas derzeit leider nicht zur Verfügung und es ist nur sehr selten und nur an bestimmten Orten ein kurzer Freilauf möglich, wo man hunderte Meter weit sehen kann – und selbst das würde ich nicht ausnahmslos empfehlen. Es ist mit solch einem Hund eine Gratwanderung zwischen Lebensqualität und Einschränkung, dessen sind sich die meisten Betroffenen die bis hierher gelesen haben sicher bewusst. Da jemandem reinzureden empfinde ich als äußerst schwierig, besonders weil solche Hunde sehr verschieden in ihrer Gefährlichkeit sind.
Was die Möglichkeit der Erweiterung des Radius mittels Schleppleine oder Flexi angeht, bin ich sehr zwiegespalten und möchte keine direkte Empfehlung für eins der beiden aussprechen. Beide Methoden haben ihre Vor- und Nachteile, sind jedoch mit Aggrohund von der Verletzungsgefahr oftmals nicht zu unterschätzen. Egal wie man es dreht und wendet: Freilauf (oder die Erweiterung des Radius eines Aggrohundes) ist heikel und muss gekonnt und aufmerksam überwacht werden. Jeder sollte selbst entscheiden, wie weit dies möglich ist.

Diese Liste mit Situationen könnte man ewig weiterführen – grundsätzlich wird jedoch eines deutlich: Vorsicht ist besser als Nachsicht. Was 100mal gut gehen kann, könnte beim 101. mal gehörig wehtun. Schon oft habe ich mich in Situationen zuerst als „übervorsichtig“ empfunden, bis dann 2 Minuten später dadurch ein Vorfall verhindert wurde. Oft kann man garnicht so „blöd denken“, wie es dann passiert,
Man sollte sich vor allem von Außenstehenden wie beispielsweise Familienmitgliedern oder Freunden NICHT reinreden lassen – sie sind zum einen nicht die, die haften und zum anderen schätzen sie kritische Momente erfahrungsgemäß gerne mal falsch ein. Meine Beobachtung über die Jahre hat gezeigt: Nur ICH kenne meine Hunde im Hinblick auf die Maßnahmen zur Sicherung so gut, dass ich mir ein Urteil bilden kann. Auch wenn mein Vater es gut meint und findet, dass meine Hunde ruhig mal abgeleint werden können weil absolut niemand in Sicht ist, bin letztendlich ich diejenige, die ihnen nur noch winkt und ihrem Gekreische lauscht, wenn sie im Unterholz bei der Jagd auf ein mögliches Kaninchen verschwinden. Diese ganzen Einmischungenm die man mit Problemhund aus dem Umfeld oft erlebt, sind natürlich nicht böse gemeint, dennoch kann so eine Fehleinschätzung von anderen böse Folgen haben. Verlasse Dich also immer auf Dich selbst.

Man sollte jeden Moment der im Hundeleben öfter auftritt, mal genau durchdenken und analysieren. Das kann im Zweifel viel Stress ersparen. Diese Herangehensweise ist übrigens nicht nur mit Aggrohund empfehlenswert. Je intensiver man sich einem optimalen Zusammenleben beschäftigt, desto niedriger ist die Chance irgendwann mal solch einen Vierbeiner selbst zu „kreieren“.

Kenne Deinen Hund
Die meisten Besitzer von Problemhunden befinden sich mit ihren Vierbeinern im Training. Ein guter Trainer ist bei Aggressionsverhalten zweifellos unabdingbar. Genauso wichtig ist es aber auch, seinen Hund zu kennen und zu wissen, welche Knöpfe man drücken kann und von welchen man lieber die Finger lässt. Dazu gehören Fragen wie:

-was ist die Intention meines Hundes? Warum reagiert er, wie er reagiert?
-wie kann ich ihn belohnen (oder unterbrechen)?
-welche Distanz zum Auslöser ist zumutbar? Wie kann ich die Situation verbessern/für den Hund händelbar gestalten?
-wie wirke ich auf meinen Hund ein?
-was verstärkt sein Verhalten (positiv wie negativ)?

Die richtige und vor allem ehrliche Beantwortung dieser und ähnlicher Fragen sorgt dafür, dass man auch im Training besser vorankommt und weiß, was man seinem Tier zumuten kann und was nicht.
Es sollte außerdem bei jedem Vierbeiner mit Problematik abgewägt werden, wo ein Training überhaupt Sinn macht und inwiefern man vielleicht auch einfach nur Management im Alltag betreibt, um Gefahr zu vermeiden.

Das Ganze Thema der Sicherung ist also ein weites Feld. Eins kann ich allerdings mit auf den Weg geben: Je länger man mit solch einem Vierbeiner unterwegs ist, desto sicherer wird man im Handling. Wo ich früher fast wöchentlich unliebsame Zwischenfälle erleben musste, bin ich heute ruhiger und schon lange vorfallsfrei und sicher unterwegs. Man wächst mit seinen Aufgaben, und dafür bin ich dankbar.
Und: so kompliziert diese ganzen Aufzählungen auch klingen mögen – sie gehen einem in Fleisch und Blut über und gehören irgendwann gefühlt einfach zur Hundehaltung dazu. Es ist für mich manchmal beinahe komisch, unsere dritte Hündin ohne Problematik zu führen. So ganz ohne Maulkorb fühlt es sich so „nackt“ an. Man gewöhnt sich daran, und es kann sogar Spaß machen, mit Aggrohund zu trainieren – Luft nach oben ist oft genug und schon kleine Schritte auf die Natur des Hundes zu können Wunder bewirken. Denn letztendlich sind auch unsere Vierbeiner mit Potenzial nur eines: Hunde, die verstanden werden wollen.