Leben mit Problemhund

Heute ist es Zeit, einen etwas persönlicheren Beitrag zu veröffentlichen. Lange habe ich ihn im Hinterkopf behalten und war mir nicht sicher, ob ich ihn schreiben oder unter den Tisch kehren sollte. Letztendlich finde ich aber, dass auch Probleme zu unserem Leben dazugehören und dieser Beitrag vielleicht hilft, ein Tabuthema zu brechen. Das Thema Aggression wurde zwar bereits einige male auf unserem Blog angerissen, aber nie wirklich vollständig darüber erzählt.

Das Leben mit Hund stellt man sich meistens idyllisch vor. Man hat einen „Besten Freund“ an seiner Seite, mit dem man viel unternehmen kann und der einen überall hin mit begleitet. Doch was wird aus dieser Idee, wenn sich der eigene Vierbeiner in eine andere Richtung entwickelt? Wenn er Potenzial mitbringt, anderen Lebewesen zu schaden?

DSC_0408Viele mögen an dieser Stelle denken, dass so etwas nur Leuten passiert die ihre Hunde nicht erziehen. Aber das ist nicht so. Viele Rassen und auch Charaktere bringen besondere Anforderungen an ein Zusammenleben mit. Bei bestimmten Hunden ist es eben das Futter was rigoros verteidigt wird. Bei anderen wiederum besteht die Chance dass sie enormen Jagdtrieb mitbringen, oder sich mit fremden Menschen schwertun. Als Hundeanfänger oder Besitzer eines Hundes, der diese Eigenschaften garnicht oder nur leicht zeigt ist es schwierig zu begreifen, dass man bestimmte Dinge über Jahre hinweg trainieren muss und selbst dann nicht immer alles „rettbar“ ist. Denn im Hundetraining wird genau das gern suggeriert. Alles wird gut, man muss nur dran glauben und fleißig trainieren.
Jedoch ist es unmöglich, zB einen Herdenschutzhund aus zweiter Hand so hinzubiegen, dass er plötzlich jeden Fremden gut findet. Der Zweck dieses Hundes ist einfach aus erzieherischer und genetischer Sicht von klein auf ein anderer gewesen und der Hund steht somit in einem enormen Widerspruch mit sich selbst.
Weil niemand perfekt ist und das genetische Verhalten seines Wunschhundes zuerst nicht so wichtig gegenüber den Äußerlichkeiten erscheint, kann man schnell in eine ausweglose Situation geraten. Dementsprechend gibt es auch immer mehr Hunde, die nicht so sind wie man sie gern hätte. Und mit denen man in einem langen Trainingsprozess von auf und ab leben muss. Wir gehören dazu.

2015-11-04 10.24.05Lana und Maila sind Hunde mit Potenzial. Beide sind mit fremden Hunden absolut unverträglich und besonders Lana bekam auch noch einen enormen Jagdtrieb in die Wiege gelegt. Sieht sie Katzen oder den Nachbarshund, prescht sie in die Leine und ist mit NICHTS abzulenken. Es hilft nur, so schnell wie möglich diese Situation zu verlassen. Beobachtet man so ein Verhalten bei seinem Hund, versucht man natürlich Dinge zu ändern. Verschiedene Trainer gaben mir Tipps mit, und auch ich selbst habe spätestens nach dem Vorfall letztes Jahr sehr viel über Aggressionsverhalten lernen müssen. Wo ich früher ihr Potenzial an einigen Stellen unterschätzt habe, höre ich nun manchmal dass ich übervorsichtig bin. Jedoch geht es garnicht anders.

Nach unserem Vorfall im letzten Jahr bin ich regelrecht „traumatisiert“. An guten Tagen packe ich das alles recht selbstbewusst und bin auch in der Lage, mit beiden zu üben. An schlechten Tagen muss mich jedoch zwingen, in unserem Viertel Gassi zu gehen. Unsere Spaziergänge machen nur Spaß, wenn ich sicher gehen kann dass im Moment niemand in Sicht ist oder uns jemand begleitet. Denn nur dann können alle entspannen. An jeder Ecke könnte immerhin ein unangeleinter Hund stehen oder ein Tier sitzen. Ich könnte mich erschrecken, stolpern und wieder die Hunde loslassen.. oder aber der andere Besitzer.
Bedeutet: Mit Argus-Augen losgehen und immer alles im Blick haben. Nur wenn ich die potenzielle Gefahrenquelle zuerst sehe, kann ich sie problemlos umgehen und Stress für uns alle vermeiden. Das Ganze ist aber leider auch damit verbunden, bestimmte Wege zu meiden, die man nicht gut einsehen kann oder eher Zeiten und Wetter nutzen, bei denen andere sich lieber zuhause aufhalten. Unsere Straße ist fast immer tabu. Es gibt viele Hauseingänge mit hohen Büschen und an jeder Ecke unangeleinte Hunde. Nur wenn ich mal einen guten Tag habe kann ich die Hunde kurz nehmen und die Todeszone betreten. Bei schlechter Stimmung und Angst wäre alles andere fürs Training kontraproduktiv. Immerhin sollen die Mädels ja lernen, dass sie sich auf ihr Frauchen verlassen können.

#Warum ich so neurotisch bin?
Während andere Hunde immer wieder kleinere Raufereien haben und niemand etwas dagegen sagt, gehören Lana und Maila zu den kritischen Rassen. Wird auch nur ein Vorfall gemeldet, steht mein ganzes Leben mit ihnen auf der Kippe. Hunde, die auf der Rasseliste stehen werden schnell beschlagnahmt wenn etwas vorfällt und sind somit für immer weg vom Fenster. Beide Hunde würden also vermutlich für immer im Tierheim ihr Dasein fristen, denn niemand wird einen Listenhund adoptieren, der andere Hunde zum Frühstück möchte und dazu auch noch krank ist. Natürlich möchte ich ebenfalls nicht, dass anderen etwas passiert.
Während also regelmäßig der fremde Fiffi auf mich zugerannt kommt und sich Herrchen und Frauchen nichts böses dabei denken, hoffe ich dass Maulkorb und Leine der beiden standhalten und dass Fiffi zwar bellt und uns vielleicht 20mal umkreist, aber dennoch friedlich ist. Hoffentlich sind Herrchen und Frauchen schnell und pflücken ihren Hund ab, bevor er im Kuschelpelz meiner Aggrohunde hängt. Würde er es nämlich ernst meinen, könnten sich meine Hunde trotz ihres Geknurres und Getöses nicht wehren und sind somit ihrer Umwelt komplett schutzlos ausgeliefert.

Zu dieser ganzen Angstproblematik nach einem Beißvorfall, an dem der eigene Hund beteiligt ist, kommt der Vertrauensverlust. Nicht nur dem Tier gegenüber, sondern auch sich selbst. Man beginnt alles in Frage zu stellen. Das ganze Training, den Umgang mit den Vierbeiner und man kann dabei in ein tiefes Loch fallen. Die Erkenntnis, dass das „Schmusetier“ auf der eigenen Couch zu einem Mord fähig wäre, ist doch irgendwie unangenehm. Komisch, denn Hunde sind ursprünglich mal Raubtiere gewesen. Leider vergessen und unterschätzen das auch viele andere. Auch Aggression gehört in Maßen zu einer Kommunikation dazu.
Der Verlust dessen, was man hatte ist besonders nach einiger Zeit zu spüren. Wo für andere das Gassigehen mit dem Hund ein guter Entspannungsausgleich zum stressigen Alltag ist, war es vor allem kurz nach dem Vorfall eine weitere Stresssituation, auf die ich gern verzichtet hätte.
Heute, ein Jahr danach habe ich noch nicht 100% des Vertrauens wiedererlangt, was ich vorher in Lana und Maila hatte. Ich selbst fühle mich jedoch wieder einigermaßen sicher. Manchmal ertappe ich mich dabei unsere Runden auszuweiten, weil es mir wieder Spaß macht mit den beiden draußen zu sein. Die Erkenntnis, dass ICH die Verantwortung trage und das mit solchen Kalibern im letzten Jahr dennoch geschafft habe, kann auch etwas positives sein.

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Die Frage, ob meine Hunde durch dieses Verhalten eingeschränkt sind, stellt sich mir des Öfteren. Ich bin froh darüber, dass sie ihre ausgewählten Sozialkontakte pflegen können und mit Mauli auch mal frei laufen können, wenn wir mitten im Nirgendwo sind und ich weit gucken kann. Unser Leben würde sicher etwas ausgedehntere Runden beinhalten und mit Sicherheit auch viel mehr Hundefreunde, aber mittlerweile habe ich mich abgefunden. Damit, dass wir trotz Training vermutlich niemals an dem Punkt sein werden, wo Holger mit seinem überfreundlichen Labrador im Hundeauslaufgebiet ist. Unser Ziel ist es nach wie vor, ruhig an anderen Vierbeinern vorbeizukommen und wir werden langsam ein klein wenig besser darin. Unsere letzte Trainerin hat dazu mit einem entscheidenden Tipp beigetragen.

Manch einem stellt sich die Frage, wieso man so etwas nicht einfach beendet und für einen oder beide Hunde eine andere Lösung sucht, wenn die Situation doch so belastend ist. Einem aggressiven Hund sei nicht zu vertrauen.
Ich kann Menschen verstehen, die in so einer Situation offen und ehrlich zugeben, dass sie ihrem Tier nicht gewachsen sind und es abgeben wollen. Ein Hund-Mensch-Gespann, das partout nicht zusammenpasst, sollte nicht zwanghaft beieinander gehalten werden. Die Entscheidung einer Abgabe ist also nicht immer schrecklich. Auch ich habe darüber nachgedacht diesen Schritt zu gehen, ihn aber sehr schnell wieder verworfen.
Ich liebe meine Hunde über alles. Und mal davon abgesehen, dass sie aufgrund ihrer Rasse, Gesundheitszustand und Verhalten niemals eine Chance hätten einen neuen Besitzer zu finden, würde ich sie trotz allen Macken niemals abgeben. Ich habe sie zu mir geholt und stehe damit in der Verantwortung. Wären sie weg, würde es mir schlechter gehen als in so manchen Zeiten mit ihnen. Wie oft habe ich aus verschiedensten Gründen in ihr weiches Fell geweint.. jetzt ist es eben an der Zeit, ihnen zu helfen und sie zu schützen.

4Hinzu kommt, dass wir auch sehr viele gute Momente gemeinsam haben. Mit Problemhund hat man draußen vielleicht nicht die gleichen Freiheiten wie der Durchschnittshundehalter.. trotzdem gibt es kleine Erfolgsmomente. Wir können kuscheln, manchmal Ballspielen und auch mal gemeinsam ein Eis teilen. Lana und Maila passen perfekt in unsere kleine Hundhoch3-Familie und können sich wie andere Hunde auch mal im frisch gemähten Gras wälzen. Es ist schön, diese Momente genießen zu können. Nicht jeder Aggrohund ist 24/7 ein nicht zu bändigendes Monster. Dahinter steht nicht selten eine liebende Familie und ein ansonsten problemloser Alltag. Unsere Mädels sind nach wie vor wunderbar mit ihren Hundefreunden zu beobachten sowie unfassbar süß und bedingungslos liebend in Verbindung mit Kindern.

Man kann vielleicht nicht alle Probleme von heute auf morgen lösen, aber man kann es zumindest langfristig versuchen und die kurze Zeit, die so ein Hundeleben dauert trotz allem genießen. Jede Hundepersönlichkeit ist anders und es gibt immer Vor- und Nachteile. Es gibt nicht den universell perfekten Hund – nur das perfekte Gespann. Wichtig ist für uns nur, dass man Probleme ernst nimmt, zusammenpasst und niemals aufgibt.

Habt ihr einen Problemhund? Schreibt uns doch von euren Erfahrungen im Umgang mit so einem speziellen Hund 🙂
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