Die Rasseliste – Erfahrungsbericht Wesenstest

Heute möchte ich einmal meine Erfahrungen mit dem Wesenstest niederschreiben. Lana und Maila mussten im Alter von 6 Monaten den sog. „kleinen Wesenstest“ machen. Hier werden einige Situationen aus dem Alltag schon geprüft, allerdings ist er nicht so umfassend wie der „große Wesenstest“. Mit dem 2. Lebensjahr des Hundes folgt dann (in Sachsen-Anhalt) der normale Test.

Als ich Lana und Maila als Pitbull-Boxer Mischlinge steuerlich meldete, bekam ich vom Ordnungsamt eine Liste von Sachverständigen, die solche Tests durchführen dürfen. Bei uns hatte man also freie Wahl, zu welchem Tester man gehen möchte. Da ich jedoch keine wirkliche Empfehlung aus meinem Umfeld hatte, suchte ich mir den Tester der am nächsten an uns dran wohnte aus. Somit rief ich bei einer Dame an, für die wir uns entschieden hatten und vereinbarten einen Termin zum Wesenstest 4 Wochen später.

Am Tag des Wesenstests machten wir uns auf den Weg zu ihr und wurden schon am Gartenzaun von ihrem offensichtlich territorial aggressiven Boxer erwartet. Nachdem sie ihn dann weggesperrt hatte, durften wir in ihre Tierarztpraxis eintreten und sie begrüßte die Hunde erst einmal, um sich allgemein ein Bild von ihnen zu machen. Eine Hundetrainerin sowie eine Helferin, die den Wesenstest später filmen sollte waren auch schon da.
Zunächst wurden die beiden tierärztlich untersucht um sicher zu stellen, dass sie gesund sind und nicht aus Schmerzen oder anderen Gründen aggressiv im Test sein würden.
Danach kamen ein paar Fragen zu den Hunden (Woher stammen sie? Wie alt? Gibt es bekannte Probleme oder Auffälligkeiten im Verhalten? Wie werden die Hunde gehalten, im Haus, Zwinger, Garten?). Auch wurden dann der Impfausweis, Steuermarke, Versicherung usw überprüft.
Nachdem dann alles geklärt war, ging es raus auf den überhitzten Hof der Praxis.
Zunächst wurde sich nur das Verhalten der beiden im Spiel angesehen und das fleißige Filmen ging los. Alle waren hocherfreut darüber, dass Maila begann Lana zu mobben und Lana „so eine tolle eindeutige Körpersprache aussendet“. Eingreifen, wie ich es immer tue, wenn Maila anfängt zu mobben durfte ich aber nicht. In diesem Zusammenhang wurde mir auch gleich gesagt dass ich nicht versuchen solle, die beiden im Test zu beruhigen oder Kommandos zu geben. Schon hier wurde mir klar, dass das Ganze mit der Realität nicht viel zu tun haben wird, war aber noch voller Hoffnung.
Normalerweise wird jeder Hund einzeln getestet. Da aber bei der Trennung der Beiden Maila lauthals aus dem Gartenabteil in dem sie allein eingesperrt wurde bellte und Lana dadurch auf absolut nichts reagierte, wurde beschlossen beide gemeinsam zu testen. Das war mir ganz Recht, denn immerhin sind wir in 90% der Alltagszeit auch gemeinsam unterwegs.

Nun ging also der eigentliche Test los. Die Dame umfasste das Maul der beiden und tat so, als würde sie sich die Zähne anschauen. Das war kein Problem für Lana und Maila.
Zuerst sollte ich dann die Grundkommandos zeigen. Also 20m Bei Fuß laufen, hinsetzen, hinlegen, umdrehen und Bei Fuß wieder zurück an meinen ursprünglichen Platz gehen. Alle Kommandos klappten wunderbar und es gab nichts zu beanstanden.
Nun wurde hinter einer Mauer alles ausgeräumt, was gebraucht wurde. Die Sachverständige schob einen Kinderwagen direkt an uns vorbei. Danach ein Fahrrad, an dem die Klingel betätigt wurde. Lana und Maila blieben an Ort und Stelle, schauten nur etwas doof aus der Wäsche. Dann wurde es schwieriger und besonders Lana bekam es mit der Angst zu tun. Die vorhin noch so nett auf sie wirkende Sachverständige zog sich nun nämlich einen langen Mantel, Sonnenbrille und einen Hut an und ging direkt auf uns zu. Der Mantel streifte Lanas Körper und sie wollte vor dieser dunklen Gestalt fliehen.
Dann zog sich die Sachverständige eine Weste an, übergoss sie mit Schnaps und lief torkelnd und schreiend bis auf 1m Abstand auf uns zu. Lana und Maila spielten verrückt vor Angst. Sie bellten und ich hatte alle Mühe, die beiden am flüchten zu hindern. Mein beruhigendes Kommando was ich sonst in solchen Fällen gebe („Alles gut, keine Angst“) wurde mit einem meckern und dem Hinweis, dass das nicht erlaubt sei, sofort unterbunden.
Es wurde dann ein Regenschirm in etwa 3m Entfernung vor den Hunden aufgespannt. Beide waren deutlich verunsichert und bellten immer weiter mit dem erneuten Versuch, so schnell wie möglich wegzulaufen. Man sah beiden die Anspannung an und besonders Lana zitterte vor Angst.
Die letzte Aufgabe gab es nach einer Pause. Die Sachverständige (die nun mittlerweile aus Angst auch ohne diese ganzen Verkleidungsaktionen angebellt wurde), holte ihre Boxerhündin. Diese wurde hinter einem Zaun für Lana und Maila sichtbar freigelassen, um den Hundekontakt mit gleichgeschlechtlichen Tieren zu prüfen. Ich bekam nun die Aufgabe, ein Stück heran zu gehen und dann die zwei von der Leine loszumachen. Ohne Leine sprangen sie sofort Richtung Zaun und… gaben der Hündin ganz viele Sabberküsse gefolgt von erfreutem Schwanzwedeln. Nun war der Test beendet. Wir gingen wieder ins Haus und es wurde zusammengefasst wie die beiden reagierten. Maila sei etwas unsicher, es sei aber im Test deutlich geworden, dass sie niemals beißen würde wenn sie sich bedroht fühle. Lana hingegen wurde als sehr unsicher eingeschätzt, jedoch war bei ihr der Fluchtreflex noch besser zu sehen. Für mich war schon vor dem Test dieses Ergebnis klar. Wir bekamen also die Auflage, an der Unsicherheit zu arbeiten und hatten es nun geschafft, die nächsten 1 ½ Jahre bis zum nächsten Test eine Maulkorb- und Leinenbefreiung zu erhalten. Die Sachverständige schrieb nun noch eine Beurteilung für das Ordnungsamt und wir durften glücklich und etwas verwirrt von Dannen ziehen.

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Im Nachhinein war dieser Tag jedoch der schlimmste, den ich mit Lana und Maila erlebt habe. Die beiden mit so einer Panik in den Augen zu sehen und nichts dagegen unternehmen zu dürfen entspricht für mich nicht der Realität. Auf meine Frage, wieso ich denn keine Kommandos geben dürfte wie ich es im Alltag tue, wurde nur gesagt dass der Test simulieren solle was passiert wenn Lana und Maila einmal unbeaufsichtigt in so eine Situation kämen. Meine Antwort, dass meine Hunde selten alleine durch die Stadt liefen oder ich sie nie im Leben irgendwo anbinden und zurücklassen würde wurde nicht beachtet. Es ist ein Unding, einem sozialen Wesen social support in so einer Ausnahmesituation abzusprechen und ich werde immer wieder sauer, wenn ich darüber nachdenke wie trainerisch falsch das Ganze gehandhabt wird.
Vor dem Test hatten beide weder Probleme mit alkoholisierten Personen, noch mit Fahrrädern, Kinderwagen o.ä. Nach dem Test jedoch sah es anders aus. Ich habe bis heute Probleme Maila und besonders Lana beizubringen dass alles, was sie als absolut schrecklich im Wesenstest erlebt haben, nicht mehr gruselig zu finden und anzubellen. Von diesem Tag an löste es schon Unsicherheit aus, wenn nur ein Mann mit Sonnenbrille unseren Zug einstieg und es wurde sich sofort versteckt. Ob das nun nicht am Sinn des Tests vorbeigeht, lasse ich an dieser Stelle einmal offen. Ich habe jedenfalls nach dem Test etwa eine Woche gebraucht, bis beide sich wieder einigermaßen angstfrei bewegen konnten und sogar mehrere Monate, bis das Vertrauen in mich wieder aufgebaut war. Denn es entspricht auch nicht der Realität, dass ein und dieselbe Person nacheinander laut pöbelnd mit einem Fahrrad, Kinderwagen, Mantel, Hut, Sonnenbrille, Schnapsflasche, Hund und Alkoholfahne durch die Fußgängerzone läuft. Zumindest habe ich so einen Menschen noch nie angetroffen 😉

Bei dem Gedanken an den weiteren Test, den die zwei im Juli absolvieren müssen, dreht sich mir der Magen um. Nicht deshalb weil ich denke, dass sie ihn nicht bestehen. Eher weil ich nicht noch einmal miterleben will, wie beide vor meinen Augen so eine traumatische Erfahrung machen müssen und meine Arbeit mit Lana innerhalb weniger Minuten zunichte gemacht wird.

Dies soll nun jedoch nicht bedeuten, dass der Wesenstest bei jedem Hund so viel Angst auslöst. Ich habe vom Großteil gehört, dass die Hunde ruhig und gelassen waren und keine Angst gezeigt haben. Trotz allem möchte ich hiermit deutlich machen, dass man so einen Test nicht bei jedem Hund anwenden sollte und er absolut nicht aussagen kann, ob ein Hund im Alltag nun kritisch reagiert oder nicht. Besonders bei Angsthunden ist diese Art der Testung nämlich als sehr kontraproduktiv anzusehen. An dieser Stelle sollten einfach Alternativen möglich sein z.B. andere Auflagen wie den Sachkundenachweis, Hundeführerschein und eine Vorstellung des Hundes beim Ordnungsamt würden meiner Meinung nach komplett genügen. Bei einer Anwendung gegenüber jedes Hundes würde es deutlich mehr Sinn ergeben, als es die Gesetzeslage jetzt tut.

 

Nachtrag: Hier könnt ihr mehr über den „normalen“ Wesenstest und unsere Erfahrungen damit lesen.

Mehr über den Sinn und den festgelegten Inhalt des Wesenstests erfahrt ihr hier: http://de.wikipedia.org/wiki/Wesenstest_f%C3%BCr_Hunde