Von Angst und Unsicherheit bei Hunden
Lana bleibt wie angewurzelt auf der Bahnhofstreppe stehen: sie weiß, dass wir gleich den Bahnsteig betreten. Nur mit Mühe bekomme ich sie dazu, weiterzugehen. Unten angekommen, drückt sie sich dicht an mich und wartet angespannt. Und da kommt sie – die böse Ansagestimme. Lana sieht sich um, kann aber nicht zuordnen woher diese Frauenstimme kommt. Sie wird unruhig und beginnt stark zu zittern und zu hecheln. Man merkt ihr an, dass sie am liebsten weglaufen würde und sich nicht beruhigen kann.
Dieses bizarre Problem trat das erste mal auf, als Lana etwa 4 Monate alt war. Zu diesem Zeitpunkt begann auch ihre Angst vor fremden (Männern), Tüten, Treppen usw. Seitdem habe ich viel ausprobiert und trainiert, um ihre Angst zu besiegen. Aber nur eine Methode half wirklich – dazu später mehr.
Bei unserem ersten Besuch bei einer Hundetrainerin vor etwa 1,5 Jahren sprach ich Lanas „Bahnhofsproblem“ an. Die Trainerin hatte noch nie von so einem Verhalten gehört. Für mich nicht verwunderlich, denn ich kenne keinen anderen Hund der am Bahnhof nur mit den Ansagestimmen Probleme hat. Lana findet selbst vorbeirauschende Güterzüge nicht einmal halb so schlimm wie eine Bahnhofsansage. Jedoch wurde mir von der Trainerin geraten, jegliches Angstverhalten einfach zu ignorieren und selbstbewusst in so eine Situation zu gehen. Man bestärke so ein Benehmen nur, wenn man ihm Aufmerksamkeit schenke. Gesagt, getan. Bei den nächsten Zugfahrten sah ich Lana auf dem Bahnsteig nicht einmal mehr an, wenn sie begann zu winseln und zu zittern. Sie tat mir unheimlich leid, aber ich wollte alles richtig machen… ein fataler Fehler, den ich bis heute bereue.
Im Laufe der Zeit verstärkte sich unser Problem dadurch jedoch. Lana begann, am Bahnhof und in gruseligen Situationen zu versuchen loszurennen und sich aus dem Halsband zu winden. Nur ein Sicherheitsgeschirr konnte Abhilfe schaffen. Es war eindeutig, dass sie es als großen Vertrauensbruch ansah wenn ich sie in diesen Momenten ignorierte. So zeigte sie mir doch vollkommen deutlich dass sie in Panik war und suchte bei mir Schutz – ich reagierte aufgrund dieses Tipps jedoch nie, und sie begann sich noch schutzloser zu fühlen.
Nach einigem hineinlesen in das Thema bemerkt man schnell, dass es nicht für jeden Hund die perfekte Lösung ist, Angst einfach „weg zu ignorieren“. Viele schrieben mir, dass sie ihren Hund trösten würden und sich das Angstproblem somit sehr verbessert hatte. Das Stichwort „Social Support“ ist hier absolut wichtig.
Nach einiger Verwirrung über diese doch sehr unterschiedlichen Meinungen gehe ich mittlerweile immer auf Lanas Angst ein. Da sie ohnehin schon zu mir kommt und sich an mich drückt wenn sie unsicher ist, nehme ich sie fest in den Arm und rede beruhigend auf sie ein. Ein gewisser Druck auf den Körper soll übrigens für unsere Vierbeiner sehr beruhigend wirken. Es gibt sogar spezielle „Thunder-Shirts“ für Hunde mit Angstproblemen. Natürlich löst das nicht alle Probleme, es unterstützt jedoch unter Umständen ein wenig.
Man merkt schnell, dass Lana sich ein wenig mehr beruhigte, wenn ich sie tröstete. Unser Vertrauensverhältnis hat sich seitdem allgemein sehr verbessert. Kommt uns beispielsweise ein fremder Hund entgegen der ihr nicht geheuer ist, sieht sie zuerst mich an und wartet auf meine Reaktion. Reagiere ich einmal nicht sofort, stupst sie mich mit ihrer Schnauze an und „fragt“ praktisch nach, was sie tun soll. Mithilfe unserer Codewörter „Alles Gut“ und „Keine Angst“ teile ich ihr dann mit, dass keine Gefahr für sie droht und sie nicht reagieren muss. Kommt das Objekt ihrer Angst trotzdem näher, schirme ich sie mit meinem Körper ab und sorge dafür, dass es nicht zu nah an sie herankommt. Mit dieser Methode fahren wir sehr gut. Lana merkt, dass sie mir vertrauen kann und vor allem dass ich verstehe was mit ihr los ist.
Wenn ihr einen Angsthund habt solltet ihr auf jeden Fall darauf achten, ihn ausreichend zu sichern! Manche Hunde erlernen, sich aus dem Halsband oder Geschirr herauszuwinden. So etwas geht schneller als man denkt. Auch Lana stand schon einmal plötzlich auf einer Hauptstraße weil sie sich über Leute erschrak, die unverhofft aus einer Haustür kamen. Unverzichtbar sind hier passende Sicherheitsgeschirre. Auch ist bei Angstbeißern ein Maulkorb angebracht.
Außerdem können solche Panikattacken auch organische Ursachen haben. Ein Tierarzt sollte hier auf jeden Fall die Schilddrüsenwerte testen! Um eine Fehlfunktion der Schilddrüse festzustellen, braucht man mehrere Werte. Viele Ärzte testen nicht richtig, so dass man hier unbedingt ein Auge auf die Anzahl der Schilddrüsenwerte haben sollte, die genommen werden.
Wird eine Fehlfunktion festgestellt, kann man den Hund auf Medikamente einstellen und unter Umständen hört dieses Verhalten damit völlig auf. So ein Test ist nicht teuer und kann einem erkrankten Hund sehr viel Lebensfreude zurückgeben. Ist er negativ heißt es: Training!
Ein Ansatz
Ihr könnt langsam und in gewohnter (gesicherter!) Umgebung beginnen, Euren Vierbeiner an Objekte seiner Angst heranzuführen.
Ich halte Lana „gruselige“ Gegenstände immer hin oder nähere mich ihnen langsam. Auch wenn sie mir zuerst nicht bis ganz heran folgen möchte, gehe ich hin und lasse die Leine locker. Hat sie zu viel Angst um mir zu folgen, rede ich mit ihr und fasse diesen Gegenstand demonstrativ an um ihr zu zeigen dass er mich auch nicht frisst 😉 Das hilft ihr ungemein dabei einzuschätzen, ob es sich um eine Bedrohung handelt oder nicht. So schafft Lana es regelmäßig, sich angstauslösenden Gegenständen zu nähern und sie zu beschnuppern. Futter als Belohnung kann ebenso sehr hilfreich sein wenn der Hund noch nicht extrem gestresst ist (denn extrem ängstliche Hunde nehmen kein Futter mehr an).
Mittlerweile sind wir durch unser Training so weit, dass sie sich zwar vor manchen Dingen erschreckt und zurückspringt, aber dann vorsichtig von selbst hingeht um sie anzuschnuppern und Frieden mit ihnen zu schließen. Dann erfolgt ein dickes Lob! So haben wir viele neue Freunschaften mit Tüten in Gebüschen, Plastikflaschen und den Mülltonnen in unserer Straße geschlossen – das alles ist kein Problem mehr.
Man sollte seinen Hund beim üben auf keinen Fall überfordern und das gesamte Training positiv für ihn unterlegen (zB. mit Leckerlis und Streicheinheiten). Wichtig ist außerdem, dass jede Trainingseinheit für den Hund positiv endet, sodass er die Übungen auch mit etwas positivem verknüpft.
Ein unsicherer Hund wird in den meisten Fällen nie ein selbstbewusster Vierbeiner werden. Das ist okay.
Oft ist es wirklich harte Arbeit, Fortschritte verzeichnen zu können. Es wird immer unvorhersehbare Situationen im Alltag geben die der Hund nicht kennt und die einen im Training zurückwerfen. Durchhaltervermögen und Zuversicht sind hier also ein Muss. Trotz allem hat man besonders mit unsicheren Hunden die Chance, eine ganz besondere Bindung und ein starkes Vertrauensverhältnis aufzubauen.
Ich gehe auch sehr auf Linda und ihre Befindlichkeiten ein und fahre damit seit jeher sehr gut. Sie ist zwar kein ausgesprochener Angsthund, aber in unserer komplexen Welt gibt es so viele Situationen, die ein Hund nicht einordnen kann – da wird man dann als Partner schon mal um Rat gefragt… 😉
Und sie versteht ebenfalls den Begriff „alles gut“…
LG Andrea
Das ist schön zu wissen dass wir nicht die einzigen sind die ihren Hund so gut gelernt haben zu verstehen 🙂 ich finde es immer klasse zu hören, wenn man es schafft sein Tier mit Verständnis und Vertrauen zu beruhigen.
LG Lisa von Hundhoch3
Mein Fräulein Shiva hat teilweise regelrechte Panikattacken. Sie hat sehr viel Sicherheit gewonnen, nachdem ich umgezogen bin, aber in angsteinflößenden Situationen konnte ich ihr viel helfen, weil ich auch auf sie eingehe. Ich hab ihr beigebracht, dass sie bei Angst zu mir kommen soll und so kuscheln wir viel. Interessanterweise hat sich dadurch ihr Verhalten in vielen Dingen komplett geändert. Sie kuschelt mehr, sie wechselt von selber auf die gefahrabgewandte Seite oder setzt sich zwischen meine Beine, um eine Situation abzuschätzen, während ich sie schützen kann.
Grüßle Sandra & Shiva