„…der schnorchelt so süß!“ – Brachycephalie und der Todeskampf auf Raten

Ich denke, in der Hundewelt ist das bereits vielen ein Begriff. Dennoch scheint die Nachfrage an ungesunden Hunden weiterhin hoch zu sein. Ebenso hoch im Kurs sollte deshalb noch immer die Aufklärung stehen, denn viele unterschätzen die gesundheitlichen Folgen dieser Fehlbildungen. Ich hoffe mit jedem Post, dass mit meinen Beiträgen Leute dazulernen, mehr hinschauen und vielleicht am Ende der eine dabei ist, der einen Unterschied macht. 

Was ist Brachycephalie? 
Brachycephale Hunde sind eben jene, die sehr kurze Schnauzen und einen besonders runden Kopf besitzen. Bekannte Beispiele sind wohl der Mops, die englische und die französische Bulldogge. Aber auch der Boxer, American Bulldog oder der Chihuahua sind von dieser Thematik betroffen. Selbst bei Katzen gibt es brachycephale Züchtungen. Ihr wollt wissen, ob Euer Vierbeiner auch eine brachycephale Kopfform aufweist? Hierzu gibt es einige komplizierte Berechnungen. Generell kann man aber schätzen: beträgt die Schnauzenlänge weniger als 1/3 der gesamten Kopflänge, wird es aus gesundheitlichem Aspekt kritisch. 

Qualzucht? Entscheidet selbst:

Mit der Kurzschnäuzigkeit und dem angestrebten „Apfelkopf“ gehen viele riesige gesundheitliche Einschränkungen für den betroffenen Vierbeiner einher, die zum Leidwesen der betroffenen Hunde oft von uns Menschen unterschätzt werden. Eine ausgeprägte brachycephale Kopfform hat für den Hund nichts positives, es sorgt nur für eines: Das verstärkte Kindchenschema lässt diese Rassen auf viele Menschen niedlicher wirken und steigert die Nachfrage, sorgt aber für immens viele Qualen.

Eins der größten Probleme ist das Gaumensegel: Es befindet sich in hinteren, oberen Teil des Rachens und ist ein weiches Gewebe, das dort beginnt wo der Gaumenknochen endet. Nahezu jeder kann es bei sich selbst spüren, Entweder wenn er mit der Zunge tastet, oder wenn er aktiv versucht beim einatmen zu schnarchen oder die Nase hochzuziehen. Schon allein dieser Test fühlt sich für viele beängstigend an. Bei Vierbeinern mit Brachycephalie wächst das Gaumensegel angepasst an die normal lange Hundeschnauze, also deutlich größer als es eigentlich benötigt wird und sorgt so dafür, dass die Luftröhre zeitweise verdeckt wird – wie sie es in unserem Test tut. Das typische „liebenswerte“ und für viele Rasseliebhaber als völlig normal angesehene Schnorcheln und Schnarchen entsteht – der Hund kriegt selbst im Ruhezustand nur noch unzureichend Luft. Er kann dieses beängstigende Gefühl also nicht so einfach wie wir wieder ausschalten, es ist immer da. Bei Tag, bei Nacht, bei Anstrengung, bei Hitze, einfach immer. Und nicht nur das: durch die kurze Schnauze entsteht bei der Atmung ein Unterdruck, der ein normales Einatmen fast unmöglich macht. Die ebenso vergrößerte Zunge beengt den Rachenraum noch mehr. Übrigens: eine Zungenspitze, die beim hecheln nach oben gewölbt ist, deutet auf Stress hin – in diesem Falle oft durch Atemnot oder Temperaturprobleme ausgelöst. Die meisten Hunde mit diesem Merkmal sind relativ kurzschnäuzig – achtet mal darauf.

Aber nicht nur das: die Zähne verschieben sich im Wachstum, weil sie keinen Platz im Kiefer haben. Oftmals müssen sie gezogen werden, weil Fehlstellungen Schmerzen verursachen und durch Reibung die Zahnsubstanz leidet. Brachy-Hunde sind dementsprechend mit steigendem Alter verhältnismäßig schnell zahnlos. Das beeinflusst dann wiederum die Ernährung, das Wohlbefinden und kann bei andauernden Entzündungen Herzproblematiken begünstigen. 

Auch die Nasenlöcher sind oft verformt, ein offenes Nasenloch gibt es kaum oder garnicht mehr. Die Atmung wird weiter eingeschränkt. „Deinem Hund geht es gut, wenn er eine feuchte Nase hat“ – bei brachycephalen Hunden ist das eher selten der Fall. Die Nasenschleimhaut trocknet aus und wird spröde. Falten im Gesicht werden zu Entzündungsherden, wenn man nicht regelmäßig reinigt. 

Durch die Kurzköpfigkeit treten die Augen mehr hervor und können so auch schneller verletzt werden. Es ist sogar möglich, dass sie durch einen leichten Stoß beim Spiel oder einer kurzen Unachtsamkeit sprichwörtlich herausfallen. Und: passiert das einmal, passiert es immer wieder. Besitzer betroffener Hunde berichten, dass sie das Auge manchmal einfach nur nehmen und selbst zurück in die Augenhöhle drücken, nachdem sie mehrmals dafür beim Tierarzt waren, denn auch dieser kann hier nicht viel anderes tun um es zu fixieren. 
Der Augendruck in der viel zu kleinen Augenhöhle verändert sich im Laufe der Jahre und sorgt dafür, dass Erkrankungen sich häufen und schon in frühem Seniorenalter zur Erblindung führen können. Ich kenne kaum einen Brachy-Hund, der im Alter nicht mindestens grauen Star hat.

Oftmals hat das Hirn kaum noch im deformierten Kopf Platz. Neurologische Ausfälle können die Folge dieses sogenannten „Apfelkopfs“ sein. Epilepsie ist weit verbreitet. Auch hier ist die Palette an Erkrankungen breit.

Besonders jetzt im Hochsommer ist der Leidensdruck für betroffene Vierbeiner enorm hoch. Durch die verkürzte Schnauze und die verengten Atemwege gibt es nicht genügend Fläche, um durch hecheln ausreichend abgekühlt zu werden – das macht das Dilemma komplett. Stellt Euch vor, ihr könntet jetzt bei dieser Hitze nicht einmal in normaler Intensität richtig atmen, obwohl ihr zur Kühlung Eures Körpers auf viel mehr angewiesen seid. Vor kurzem sah ich ein Video eines kleinen Boston Terriers, der selbst im kühlem Wohnzimmer bei 25 Grad vor lauter hecheln fast kollabierte obwohl er einfach nur dalag – seit Stunden kämpfte er gegen die Angst zu überhitzen.
Ich selbst habe schon mehrere Bulldoggen erlebt, bei denen mir schon bei ruhiger Atmung Angst und Bange wurde: man sah permanent den panischen Blick bei jedem Schnorchel-Atemzug in ihren Augen, wenn sich ihre Kehle verengte. Das schnarchen wird je nach Hund und Wetter unter Belastung so laut, dass man sich kaum normal nebenher unterhalten kann. Die Besitzer hingegen erzählten völlig entspannt, dass ihr Hund öfter mal im Sommer kollabiert.

Was ist das für ein Hundeleben? Was haben wir Menschen nur getan?

Ich selbst besitze keine offiziell brachyzephalen Hunde – der Boxer hat nur einen kleinen Teil in Lanas und Mailas Genetik ausgemacht. Dennoch hat Maila von unseren dreien die kürzeste Schnauze mit etwa 5,5cm und kratzt quasi genau an der 1/3-Regelung. Selbst sie quält sich deutlich stärker als die anderen beiden Hündinnen. Eine normale Gassirunde ist ihr im Sommer selbst in den Abend- und Morgenstunden manchmal zu viel. Wir müssen immer aufpassen, dass wir auch ja den Rückweg schaffen. Im letzten Jahr ist sie uns nach etwa 500 Metern am Vormittag fast kollabiert und musste im Fußraum des Autos mitfahren um genügend Frischluft zu bekommen, unter voller Klimaanlage. Sie hechelt seit Tagen fast ununterbrochen. Wie geht es dann bloß den Lebewesen, die der Mensch noch schlimmer gestraft hat und deren Hals wie zugeschnürt ist? Die, die anatomisch garnicht in der Lage sind sich ausreichend zu kühlen oder gar zu atmen? Bei dem Gedanken an diese Qual kriege ich Platzangst. 

Die Niederlande haben deshalb schon 2019 beschlossen, dem ein Ende zu setzen. Hier ist die Zucht von Hunden, die unter der 1/3-Regelung liegen gesetzlich verboten. Wenn man mich fragt, sollte Deutschland dringend nachziehen. Aber was wird aus den betroffenen Rassen?

Rasseliebhaber?
Die Frage nach den Besitzern und Züchtern eben dieser Rassen gestaltet sich ausnahmslos schwierig. Auch wenn es ein heikles Thema ist, gibt es zwei Parteien innerhalb dieser Rassen – die, die aus tatsächlicher Unwissenheit in diese Misere gekommen sind und die sich dessen nach tausenden Euros und immensem Tierleid bewusst sind – und eben jene, die das Problem aktiv nicht sehen wollen und abstreiten. Es gibt Studien darüber, dass die Eigenwahrnehmung der Besitzer sehr schnell verschwimmt, wenn sie jeden Tag mit ihrem Hund zu tun haben. Viele schätzen ihr Tier als absolut gesund ein und beteuern, dass ihr Hund „freiatmend“ ist, während er am anderen Ende der Leine röchelt.

Es gibt allerdings auch in Deutschland bereits Züchter, die sich für eine Gesundung ihrer Hunderassen einsetzen. Nasen werden allmählich in einigen Verbänden wieder länger gezüchtet, Augen stehen weniger heraus. Selbst andere Rasseprobleme wie die Verkrüppelung der Rute oder der Rückenprobleme bei der französischen Bulldogge werden angegangen – eine tolle Entwicklung!

Ich möchte mit diesem Text niemandem absprechen, bestimmte Hunderassen zu lieben. Auch ich bin absolut einigen Kurzschnauzen verfallen. Möchte man aber etwas Gutes für seine Rasse tun, sollte man auch hinterfragen, wie mit offensichtlichen Problemen in den Vorgaben großer Zuchtverbände umgegangen wird und sich eine hundgerechte Alternative suchen. Wird die Zucht irgendwann aufgrund von nachweisbaren Qualen fürs Tier ebenso wie in den Niederlanden verboten, stirbt die Lieblingsrasse langsam aber sicher aus. Man sollte also schon jetzt umsatteln und für sein Tier und die Rasse ein paar Abstriche machen.

Die Wahl des richtigen Züchters ist auch hier also wieder einmal entscheidend: fürs eigene Portemonnaie, für den einzelnen Hund und sogar darüber, wie gesund oder ungesund sich die Mehrheit der Käufer eine Rasse wünscht. Denn produziert wird nur, was DU auch kaufst. 

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